Donnerstag, 31. Juli 2014

Frau Fi - Pu bringt das Glück



Man ist ja kein Unmensch. Leichthin gesagt, dass man für die Partnerin den neu gekauften Wagen zulässt, weil sie es arbeitstechnisch einfach nicht hinbekommt. Bis der Tag näher rückt, an dem man am Straßenverkehrs-Amt erscheinen und mit 1001 Papieren vor einem dieser Götter im öffentlichen Dienst antreten muss.

Längst ausgestorben geglaubte Urängste fühlt man erneut in sich aufkeimen. Bei innerer Rekapitulation der Dinge stelle ich fest, dass mein letzter Gang zu diesem Golgatha der modernen Zivilisation ungefähr vor 25 Jahren stattfand. Seitdem kaufte ich immer Wagen beim Händler, die dieses Prozedere dann für mich übernahmen. Aus heutiger Sicht sei gesagt: ich wusste es nicht genug zu schätzen!

Aber nähern wir uns der Thematik schrittweise und notwendiger Weise optimistisch: wo muss ich überhaupt auflaufen? Dank Internet erfahre ich, dass das eigentliche Amt momentan Urlaub hat und ich daher ganz woanders hin muss. Hiermit ein erster Dank an moderne Technik: früher wäre ich erst Mal umsonst durch die halbe Stadt gefahren, um dann festzustellen, dass eben dort Urlaub herrscht.
Und jetzt kommt es: eine meiner tiefenpsychologisch noch nicht einmal im Ansatz bearbeiteten Angst ergibt sich aus dem Wissen um stundenlanges Warten in miefigen, abgewrackten Hallen städtischer Massenbetriebsamkeit, an der es 300 Bittstellern ebenso geht und die daher mit griesgrämigen Gesichtern auf Mobiliar aus den späten Fünfzigern hocken und in kaum aktuelleren ADAC- Zeitungen blättern.

Aber!!! Nicht so mit mir!! Man kann, wie ich auf dem Bildschirm entdecke, einen Termin im Netz vereinbaren! O.k., im pull-down Menü rutsche ich in die 10-Minuten Bresche 10.50 – 11.00 Uhr und choose den point mit links. Ha! Vorbei mit der ersten Existenz-Angst. Ein flüssiges Durchschreiten der vollen Hallen mit einem Anflug von „Ich bin Privat-Patient, ich habe einen Termin“ sei mir gewiss.

An Unterlagen zum Erhalt dieser dämlichen zwei Stücke Blech kommen zusammen ca. zwanzig Dokumente gänzlich unterschiedlicher Wirksamkeit voller Bearbeitungs-Nummern, Wunschkennzeichen, SEPA Daten, Ausweise, Vollmachten, Briefe, TÜV Gutachten, AU-Bescheinigung, noch n Ausweis. Zur Sicherheit noch die Bescheinigung, dass ich keine Kirchensteuer zahle und mein Freischwimmer-Zeugnis. Man will ja nicht mit leeren Händen da stehen. Und da das Ganze neben einem Globus-Center stattfindet, fahre ich früh los, um vorher noch da einzukaufen.

Soweit die Theorie.

Ankunft 9.00 Uhr dort. Ich da so locker zu einem Passanten: "Wo ist denn hier das Globus Einkaufs-Center?" Unwissendes Zucken der Schultern: „Das gibt´s schon seit zehn Jahren nicht mehr, das heißt nur noch so.“ Grrmmpf! Also kein Einkaufsbummel vorher. 

Jetzt bis 10.50 Uhr auf meinen Termin warten? No! Also ist jetzt angesagt: Begreifen der kleinbürgerlichen Abläufe, Einwilligen in Schlange stehen und mit Geduld wappnen.
Als erstes kriegt man eine Nummer. Und nicht etwa wie an der Metzger-Theke von der Rolle sondern (man merke auf!) man steht in einer Schlange, um eine Nummer zugewiesen zu bekommen, jaha! Ungläubiges Staunen meinerseits verbindet sich aber mit Erleichterung, da man hier nur ca. zehn Minuten steht – schon hat man eine Nummer, mit der man dann warten darf. Der Technik sei Dank! Meine Eintrittskarte in die Heiligkeit hat die Nummer 2135, ausgedruckt auf einem DIN A 4 Blatt von einer Dame, der ich erst erzählen muss, dass ich ein Auto zulassen möchte. Wer hätte so ein exotisches Ansinnen in einem Straßenverkehrs-Amt vermutet?

Von der ersten Schlange im Vorraum darf ich nun in den hinteren Saal und mich orientieren. Zuerst denke ich, ich bin im Parkettsaal der Düsseldorfer Börse. In der Mitte ein runder, zehn  Meter breiter Klotz mit acht Fernseh-Schirmen, auf denen in der rechten Hälfte N24 Nachrichten in Dauerberieselung laufen, die linke nennt die aktuell aufgerufenen Nummern. Wow! Eine Bestuhlung so wie eine Decke aus luftig gespannten Segeltuch-Laken unter einer Glaskuppel lassen mich eher an ein Architektur-Büro denken als an einen dieser von mir als duster erinnerten Mief-Säle mit eingebauter schlechter Laune und Schweißgeruch.
Naja, denke ich, alles Tarnung – das dicke Ende kommt noch. Voller Nervosität fingere ich bei Nummer 1985 auf dem Schirm ein letztes Mal durch die Unterlagen. Dann nochmal. Und eine Stunde später ein wirklich allerletztes Mal.
„2135, lila Gruppe, Platz 24!“ Tadaaaah!  Mein Herz klopft, als ich die Tür zum „lila Feld“ öffne. Platz 24 wird von einer Frau bewacht, aus der man zwei machen könnte. Fi-Pu steht auf dem Schild vor der so gar nicht asiatisch anmutenden Dame; da ist ein Doppelname auch angebracht. Jetzt nur keinen Fehler machen! „Welche Dokumente darf ich Ihnen vorlegen, möchten Sie einen Cappuccino, wie war Ihr Urlaub, was machen die Kinder?“
Und jetzt geht die Sonne auf, das Glück lacht mich an: ich habe alles dabei, bin komplett, leiste eine Unterschrift und bin wieder draußen zum Nummernschild-Empfang!
Frau Fi-Pu brauchte ganze drei Minuten für mein Aufatmen, heißt eigentlich Frau Scheller ( Fi-Pu war wohl nur die Abgrenzung ihrer Buchstaben- Zuständigkeit), wie mir ein zweites Schild auf der anderen Seite verrät und ich schließe sie in mein Nachtgebet ein.

Als ich mit Schildern, Quittung, Stempeln, und Brief das hohe Haus verlasse, ist es 10.50 Uhr. Jetzt wäre mein internet-verbriefter Eintritt gewesen. Na, also, auch noch zehn Minuten gespart.

Freitag, 25. Juli 2014

Post aus dem Weltbad



Ja, da staunt ihr? So ging es mir auch. Als Mittfünfziger, der meint, die (vor-)letzten Trends in Sachen Kommunikations-Technologie nun halbwegs begriffen und in die Alltäglichkeit eingepflanzt zu haben, staunte ich gestern nicht schlecht, als nach gefühlten hundert Jahren mal wieder eine echte Postkarte im Kasten lag (außer der von meiner Tochter im Mai aus Afrika: von da w i l l man auch ´ne Karte, wegen der schönen Bilder). Ich dachte schon, dieser ehemals goldene Einkommens-Zweig der Touristik-Industrie läge in den letzten Zügen (Achtung, hier kam ein Bonmot!).
Aber aus dem „Weltbad Bad Nauheim“: Ho ho ho…das hat man nicht oft! Nun war der Text auf der Rückseite nicht weiter bedeutungsvoll und man wäre auch überrascht, wenn sich dort auf einmal die große Lyrik abspielt. Auch die Briefmarke - eine echte mit Schloss Glücksburg drauf - zog mein Interesse nicht weiter an. Das Thema habe ich abgehakt, seit ich einem Stabs-Unteroffizier beim Bund meine sehr bruckstückhafte Sammlung für nen Hunni aus chronischem Geldmangel verkauft habe.
Vielmehr finde ich den Titel toll. Weltbad! Was, bitte, ist ein Weltbad? Wir fragen Wikipedia und bekommen: nichts! Aber den Hinweis auf einen Stummfilm von 1926 mit dem bezeichnenden Titel „Die Königin des Weltbads“. Dummerweise und für Bad Nauheim nun gar nicht entlastend spielt der Film in Baden Baden. Darf sich also Baden Baden Weltbad nennen, nur weil die Leute in Baden Baden baden?
Womit sich erstens die Frage stellt, ob es mehrere Weltbäder gibt, weil die eben alle auf derselben Welt sind, und wieso sie so heißen (dürfen). Oder sind es solche, weil die Welt zu Gast kommt? Putin in Bad Nauheim? Mit nacktem Oberkörper als Kurschatten-Jäger? Wenn es also einfach so erlaubt ist, könnte ich mein Badezimmer ja auch mal für eine Saison so nennen und mein noch drohendes Rentenproblem innerhalb von wenigen Wochen als solches dank Kurtaxe, Eintritt, Badekappen-Verleih oder Rollator-Parkplätzen gegen Gebühr eliminieren.
Ich stelle eine Palme auf, ziehe einen weißen Kittel über, verteile Mineralwasser aus der Erkrather Quelle im Neandertal und gebe Kurkonzerte. Gut, vielleicht besser Lese-Abende…
Und am Ausgang verkaufe ich Postkarten. Und Briefmarken mit Schloss Glücksburg drauf.

Donnerstag, 10. Juli 2014

ALDI SÜD, 12.15 Uhr MEZ, irgendwo in Deutschland



Im Trott geh ich durch die gefliesten Gänge, den Wagen vor mir herschiebend. Ich arbeite den „Müllsäcke, Milch, Aufschnitt, Eier“-Zettel ab und frage mich jedes Mal aufs Neue, warum es bei Aldi einen Verkaufsgang zu wenig (oder zu viel) gibt. Einen muss man immer doppelt laufen.

Als alles im Drahtverhau ist, kommt das Einfädeln zum Bezahlen. Das „Wir öffnen Kasse drei für Sie“ - Jingle führt dazu, dass eine kleine, deutlich betagte Oma vor mir bei Kasse drei anlandet. Sie ist mit Einkaufsrolltasche und Aldi-Wagen gleichzeitig logistisch überlastet. Bevor sie die Schnittblumen (Strauß, 2,99€) vor der Kasse mit den mobilen Einkaufshelfern komplett vom Regal kippt, springe ich kurz ein und rette das Nötigste. Da sie vorne in der Zeit ihre beiden Weinflaschen und eine Packung Gouda aufs Band legt, bemerkt sie davon aber nichts. 

Es dauert alles etwas länger bei ihr und so habe ich Zeit, sie anzusehen. Einfache, saubere Kleidung, Gesundheitsschuhe, geschätztes Alter um die achtzig, munter aber eben langsam. Bis dahin sah ich sie nur von hinten.

Der fitnessgestählte Filialleiter-Anwärter an der Kasse sagt ihr die Summe, aber sie hört erstmal nichts. Er wiederholt und sie fängt an, in ihrem Roller lange nach dem Portemonnaie zu suchen. Ein Rumoren geht hinter mir durch die Schlange; ich warte förmlich auf den ersten Satz wie  „Das konnte ja auch keiner ahnen, dass man da vorne bezahlen muss.“ Mittlerweile hält sie dem Kassierer vertrauensvoll ihren offenen Geldbeutel hin, lächelt ihn an und er nimmt die abgezählte Summe heraus, weil sie es nicht gut sieht.  Sie dankt ihm sehr freundlich, steckt die Börse ein und fängt langsam an, alles einzuräumen. Ein Vorgang, wie er sich fast bei jedem Einkauf vor mir – nie hinter mir - ereignet. Von dem Murren und Geraunze hinter mir bekommt sie dank Hörschwäche nichts mit, ist vielmehr auch komplett in Gedanken versunken.

Sie wendet sich ab, vergisst eine der Weinflaschen an der Kasse. Ich nehme sie kurz, tippe die Dame an und gebe ihr die Flasche. In diesem Moment zeigt sie mir ihr Gesicht, strahlt mich wahnsinnig herzlich an und sagt voller Dankbarkeit, als wäre damit alles erklärt: „Ich werde nämlich morgen einundneunzig!“  

Ich habe so lange Zeit, diesen Blick zu genießen, bis es von der Seite wieder heißt: „Bar oder Karte?“

Dienstag, 8. Juli 2014

Das Fieber steigt…



Ja, ich gebs zu: es ist wieder soweit. Mich hat´s wieder gepackt und ich brauch mal wieder ein richtiges Automobil um mich. Alle fünf bis zehn Jahre kommt so ein Schub, der mich bis in die Fahrgastzelle eines Oldtimers treibt. Letztes Mal war es ein wunderbar erhaltener 65er Käfer (Heinrich V., ich berichtete hier mehrfach). Dieser wanderte nach drei Jahren Fahrerglück guten Gewissens in die zarten Hände einer bayerischen Studentin, die extra zum Kauf mit ihrem Vater aus dem Süden anreiste und ihn direkt und ohne Verhandlungen mitnahm.

Das ging dann ein paar Jahre gut und auf einmal steht man wieder vor irgendwas Altem mit Charakter und schön geformtem Blech. Aktuell geht’s um folgendes: Im Strich Achter Diesel hatte ich ´74 erste eigene Fahrerlebnisse auf meines Vaters Schoß über abgelegene Aachener Feldwege und prüfte die Stuttgarter Sicherheitszelle direkt mal mit zarten Sechzehn am geparkten Wagen des Nachbarn, den ich im Rückwärtsgang zielsicher rammte, weil ich heimlich aus unserer Garage setzen durfte.
Heute bin ich wieder auf der Suche. Es muss ein Schalter sein, 240 D mit 65 PS, geriffelten Rückleuchten in Ahorn-Gelb (oder war es Sahara-Beige?). Ein Lenkrad, was diesen Namen noch verdient und ein eben damit zu steuerndes Schiff mit Stern auf dem Kühler.

Bedingt durch die nicht gerade üppige Motorisierung verpassten böswillige Neider diesem Modell (allerdings als 200 D) auch den Kosenamen „Wanderdüne“. Fest steht allerdings für mich, dass es als Mercedes der letzte seiner Art mit einem Gesicht war. Ab da ging es mit der äußeren Attraktivität bei nachfolgenden Serien exponentiell abwärts.
Und natürlich muss ein Becker-Mexiko da rein; bei dem stritt ich mich mit meinem Erzeuger immer, ob Stationstaste 1 (DLF) oder 3 (AFN) laufen sollte. Kassette muss nicht sein: ich hätte nichts mehr zum Füttern. 
Den letzten dieser Art hatte ich dann mal als Student. Die Kupplung maulte stets, neue Reifen – geschweige denn mit Winterprofil – konnte ich mir nicht leisten, daher lagen immer ein paar schwere Sandsäcke im ewig großen Kofferraum, damit bei Schnee wenigstens ein Minimum Traktion an der Hinterachse auftauchte. Als ich ihn dann an einem bewusst schneefreien Tag verkaufte, war ich glücklich; auch als ich erfuhr, dass mein Nachfolger den Wagen ein paar Wochen später sanft und unverletzt in einer Schneewehe zur ewigen Ruhe gebettet hatte.

Also klinkt man sich wieder mal in die entsprechenden Foren ein, sucht Kaufberatungen, Schätzwerte, alte Vergleichstests und besucht an den Wochenenden die umliegenden Oldtimer-Treffs. Die monatlich neu erscheinende Bibel aller Enthusiasten gibt es um den 26. am Kiosk und ich hoffe auf Zeilen über den eigenen Favoriten. 
Ich bekomme wieder diesen automobilen Tunnelblick: überall auf der Straße tauchen auf einmal Strich Achter auf. Herrlich!