Donnerstag, 30. Juli 2015

Geschichten aus der Provinz

Es ist Sommer, 8 Uhr morgens, meine Terrassentür geht auf. Ein Geräusch, welches von fast allen Hunde-Anliegern im Gut mit wohlwollenden Gefühlen wahrgenommen wird: das Bistro “Dog Stop” ist geöffnet.

Sobald es der ansonsten ach so anstrengende Tagesablauf (Spaziergang, Katze jagen, Bein heben, wichtige Geschäfte erledigen etc.) zweier Stammkunden zulässt, kommt man mal auf einen Bissen hier vorbei: ein Stück Käse, ein Knochen vom Grill, die letzte Scheibe Fleischwurst – you name it. Ein über Jahre gewachsenes Ritual.
Dann aber erwischt mich eine verrückte Idee. Meine gastronomische Vergangenheit, viele Sendungen mit dem Restaurant-Tester und mein Kühlschrank mit begrenzter Kapazität lassen das Konzept wachsen: kleine Karte ist besser!
Aus Erinnerungen an frühere Hundezeiten, bei der sich unsere Hovawärtin jedes Mal ein Loch in den Bauch wedelte, wenn sie eine dicke Möhre kriegte, sobald jemand wieder nach Hause kam, gehe ich beim nächsten Einkauf an der Gemüsetheke vorbei: 1 kg 1,50€. Passt!

Testlauf 1: Der Wirbelwind Buddy. Ein Magyar Wizla-Rüde, den ich meist als Kometenschweif an meiner Tür vorbeirasen sehe. Muskeln, kein Gramm Fett, gute Laune. Immer etwas im Maul, was man apportieren kann. Ein Pinguin, der quietscht. Ein Ball am Band. Tennisbälle in den unterschiedlichsten durchgekauten Stadien der Verwesung. Die Miene sagt immer: nun wirf mir schon was!! Es fehlt eigentlich nur der Jogging-Anzug.

Für ihn ist die Möhre, die ich aus dem Kühlschrank hole, direkt in Ordnung. Wow, Fitness-Fressen! Gesund, knackt, reinigt die Zähne: akzeptiert! Ab damit und auf der Wiese wird das Ding zerlegt.

Stammgast 2. Es wippt herein: Yoda, 8 jähriger Retriever-Rüde, Chef im Ring, Herzensbrecher mit langjährig eingeübtem Augenaufschlag. Die Figur geht ein bisschen in Richtung Türsteher. Liebt alles, was einst mähte, muhte oder krähte und auch Käse.
„Oh, da hab ich aber was! Pass mal auf!“ Ein Versuch von mir, den kulinarischen Höhepunkt rhetorisch geschickt vorzubereiten. Ich halte ihm eine Möhre hin.
„?“
„Na? Ist das guuut?“
Ein Blick, als biete ich ihm einen Zweig Rosmarin an. Kehrtwende, Abgang.
Naja, man gewöhnt ältere Herren nicht ruck-zuck an neue Gegebenheiten. Das kenne ich von mir. Aber die Routine wird´s schon richten.
Zwei Stunden später taucht er nochmal auf. „Na, Kollege, war wohl heute Morgen nicht dein Tag, he?“ meint sein Blick wohlwollend. "Versuch´s nochmal."
Ich hole die Möhre nochmal raus.Kehrtwende - noch entschlossenerer Abgang.

Nun fangen meine Gedanken an zu kreisen. Der arme Kerl...man ist ja auf dem Hof auch aufeinander angewiesen...man hat einen Ruf zu verlieren...wer weiß, was er sonst kriegt...ach, und der Blick...soll man eine Freundschaft so einfach aufs Spiel setzen...und das wegen einer Möhre?

Tag 2: Buddy hat sich zum Möhrensüchtigen entwickelt. Er steht schon freiwillig vor dem Kühlschrank, um sich seine tägliche Droge zu holen. Wedel, fass, raus damit auf die Wiese, knack, fertig.
Yoda kommt. Prüfend, abwartend. Will er mir jetzt wieder mit dem Zeug kommen? Ich halte ihm ein Stück Fleischwurst hin.
Alles wieder gut! Ich steige wieder zusehends in seiner Achtung und der Blick sagt. „Na, geht doch!“
Da verzeiht man ihm auch seinen beginnenden Alzheimer, als er nachmittags wieder im Eingang steht. „Ach, ich war heute schon hier?“

Merke: die Speisekarte muss zum Gast passen, nicht umgekehrt.

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