Mittwoch, 2. Oktober 2019

der Winter kann kommen

Oha, meinte Herbert. Schnee!

Die ersten drei Flocken rieselten ihm deutlich erkennbar auf die Windschutzscheibe seines 82er Diesel Automatik in moosgrün-metallic.

Sofort bremste er von 110 auf 95 km/h runter. Der Wackeldackel auf der Hutablage nickte zustimmend. Es schoss ihm durch den Kopf, beim nächsten Tankstopp noch einmal den Frostschutz des Scheibenwasch- wassers zu überprüfen. Sein immerwährender Pirelli-Wandkalender von 1988 an der hinteren Garagenwand neben dem grünen Gartenschlauch mit Waschaufsatz hatte es ihm schon Mitte Oktober gesagt, dass es jetzt Zeit würde. „Wintercheck!!“ stand dort in seiner Handschrift am fünfzehnten - mit zwei Ausrufezeichen. Aber sicher ist sicher.
Er schlug den Oktober immer schon ein bisschen eher im Jahr auf – meist so gegen Juni. Im Oktober räkelte sich nämlich die dralle Blonde einladend auf dem Kühler des alten Opel Kapitän. Gleichzeitig hängte Herbert seine Wolljacke mit den Ärmelflicken etwas weiter über die Seite, damit Marthas Blick nicht direkt drauf fiel.
Und diese Eintragung bedingte geradezu reflexartig präzise und nun nicht mehr aufschiebbare Aktionen, die sich in seinen jetzt 55 Jahren unfallfreien Fahrens – das war zum 50. Jahrestag dem örtlichen Anzeiger sogar ein Interview wert - einfach routinemäßig eingeschliffen hatten: Termin bei Erich zum Reifen wechseln ausmachen, Wasser mit Frostschutz auffüllen, die karierte Picknickdecke aus dem Kofferraum, Schneeketten und Wolldecke rein. Den grünen Eiskratzer, ein Werbegeschenk seines Optikers („Für den Durchblick“ stand drauf) mit den blauen Goretex Handschuhen ins Handschuhfach. Notwendig, falls der Wagen mal tagsüber von einem Schneesturm überrascht würde; so wie sie es immer in den Nordstaaten der USA zeigten – neulich erst wieder. Dafür war dann auch der 20 Liter Kanister, stets voll, immer dabei. Er erinnerte sich noch an den Winter 1977 (oder war es 78?), wo die meterhoch eingeschneiten Autofahrer auf den Autobahnen von der Bundeswehr befreit wurden. Er hatte sich das Ganze zwar wohlverwahrt und warm auf der Eckcouch in seinem neuen Loewe Opta Farbfernseher in Mahagoni Design angeschaut, aber man weiß ja nie.


Nun fehlte nur noch eins. Er fuhr beim Handwerker-Markt auf den Parkplatz. Sorgsam achtete er darauf, rechts und links neben sich einen freien Parkplatz zu haben, damit ihm keiner mit der Fahrertür einen Kratzer in den Lack machen konnte. 

Er stieg aus, pulte ein gelbes vertrocknetes Blatt aus dem Lüftungsgitter und ging in den Laden. Zweite links und er stand vor dem Regal mit Autozubehör. Unten rechts hingen die Duftbäume. Kräuter, Rosmarin, Zitrone…prüfend glitt sein Blick über das Angebot. Kiefernnadel fehlte. Mist! Schließlich wählte er Glühwein/Zimt.
Draußen prüfte er als erstes das Auto. Rechts neben ihm parkte gerade eine Frau mit einem gelben Polo. Missbilligend sah er zu, wie sie ausstieg. „Vorsicht!“ rief er, als die Tür aufging. Die Frau hörte ihn gar nicht, da sie Kopfhörer trug und telefonierte. Es ging Gott sei Dank alles gut.
Herbert setzte sich hinters Lenkrad und tauschte den verblichenen Sommerduft am Rückspiegel gegen den Glühwein/Zimt-Baum. 


Jetzt konnte er kommen, der Winter.

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1 Kommentar:

Merle hat gesagt…

Für mich kann der Winter noch nicht kommen...Habe gestern erst meine Kräuterecke mit meinem Ampel Sonnenschirm abgedeckt für ein kleines Pseudogewächshaus, aber die Holzterrasse braucht noch Vorbereitung