Mercedes Benz 220 D
Insidern als „Strich Achter (/8)“
bekannt. Mein Gott, was waren wir 1971 stolz! Der erste neu gekaufte Wagen für
meinen Vater und wir beide holten ihn beim Mercedes Händler in Aachen ab. AC-D 27, in Weiß, 60 PS –
Diesel, ich weiß es noch. Man strich
fast andächtig über das Lenkrad, damals noch mit dem großen Chrombügel für die
Hupe. Alle Schalter wurden einmal auf Funktion getestet und für gut befunden (natürlich
– es war ja ein Mercedes!). Das ganze Handbuch gingen wir beide durch und waren wahrscheinlich trotzdem in 20 Minuten
fertig – inklusive des Nachsehens, wo der Reservereifen lag. Die Stationstasten
(ja: Tasten! Nicht so fisselige Sensoren oder Display-Bildchen) im Blaupunkt
Becker wurden mit den Sendern belegt (WDR und DLF für meine Eltern, BFBS und AFN für mich. Das
war deutsche Wertarbeit, da waren wir uns sicher. Aber ca. 20.000,- DM – mein Gott,
ein Vermögen! Ich bekam zu der Zeit geschätzte 10,-DM Taschengeld im Monat, war
dreizehn und durfte manchmal schon vom Beifahrersitz aus schalten. Was konnte
da noch passieren!
Heute hat mein Handbuch ca. 350
Seiten, wovon die Hälfte dazu dient, mir zu erklären, wie ich alle Tasten in
den Menüfolgen drücken muss, damit das Smartphone sich mit dem Auto-Telefon
verbindet. Jedes Mal bei Sommer-/Winterzeitwechsel muss ich es wieder rauskramen
weil ich mir nicht merken kann, wie ich die Uhr umstelle. Früher drehte man
einfach am Rädchen und der Zeiger wanderte. Für den Preis des damaligen
Mercedes mit Zusatzausstattung bekommt man heute einen VW Polo in der nacktest-möglichen
Basisversion, wahrscheinlich noch mit Notrad. Oder man investiert denselben Betrag nur in die
Zusatzausstattung eines gestern neu vorgestellten S-Klasse-Modells. Dann hat
man auch heizbare Armlehnen, Verkehrszeichen-Erkennung und Massagesitze "mit
14 separat ansteuerbaren Luftkissen und integrierter Wärmefunktion". Ohne das kann man ja heute gar nicht mehr
auftauchen, sonst ist man unten durch, meine Herren.
In weiteren 45 Jahren lacht man
sich über diese Zeilen hier kaputt. Man macht nichts mehr selbst außer
eventuell irgendeinem technischen Teil zu sagen, wo man hin will. Dann kommt es
gefahren (korrigiere: geschwebt), man setzt sich rein und kann ab da Musik hören oder Filme sehen, bis
man da ist. Handbücher stehen in Antiquariaten neben Smartphones. „Opa, damit
konntet ihr euch früher wirklich unterhalten?“
Als eine schleichende
Entmündigung unter dem Tarnbegriff "Komfort" empfinde ich das. Wir sollten aufpassen, dass man sich nicht alles
abnehmen lässt. Wer kann noch mehr als fünf Telefonnummern auswendig? Da geht’s
schon los. Für manche beginnt ja das Abenteuer heute schon beim Öl nachfüllen.
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