Freitag, 7. Juni 2013

Betroffenheit ist eine Zier...



In der letzten Ausgabe der „ZEIT“ gab es einen Artikel zu einem interessanten Experiment. 
Auf den Punkt gebracht konnten Probanden (das sind die, die man in der Statistik hinterher so bewerten kann, dass die Statistik das aussagt, was man vorher schon beweisen wollte) das Leben einer Maus in Euros bewerten. Und zwar einer Maus, die direkt vor ihnen im Käfig saß. Man konnte soundso viel zahlen und die Maus blieb am Leben, zahlte man weniger, wurde sie vergast. In diesem Fall war es egal, da sie sowieso hinterher sterben mussten, da es Versuchsmäuse mit gentechnischem Hintergrund waren; ihr Leben war aus irgendwelchen EU-Richtlinien heraus sowieso verwirkt. Das wussten die Probanden aber nicht.

Ein anderes Experiment, in den Sechzigern glaube ich, erlaubte es Versuchspersonen, andere Menschen (hinter einer Glasscheibe sichtbar) mit Elektro-Schocks per Knopfdruck und variabler Skala ( „kaum merkbar“ bis „fast tödlich“) so zu bestrafen, wie sie es für richtig hielten, wenn diese eine Frage falsch beantwortet hatten. Reaktionen der Schocks wurden gezeigt. Es zeigte sich, dass die Knopfdrücker teilweise Impulse veranlassten, die im richtigen Leben zum Tode geführt hätten. Die Reaktionen allerdings waren nur gespielt, es floß kein Strom.
Warum erzähl ich das alles hier? Es geht um Betroffenheit. Ab wann sind wir direkt betroffen von Dingen; wie nah müssen sie kommen, damit wir die Nähe spüren und entsprechen reagieren?
Dammbrüche in China, Tsunamis in Asien, Tornados in Oklahoma, Aids in Kenia, Hunger im Sudan. So weit, so schlecht. Entfernung: 4 -14000 km, je nachdem. Ein Fall für die Tagesschau als Opener (am ersten und vielleicht zweiten Tag noch), dann rutscht das Ganze in die zweite Reihe, flankiert durch die entsprechenden Spendenaufrufe auf diverse Konten. Wenn die Opfer Glück haben, gibt’s noch einen RTL-Spenden-Marathon von 20 bis 24 Uhr mit 10 Promis an der Hotline (meine Empfehlung: Herr Kubicki, der war schon mindestens zwei Wochen nicht mehr auf dem Schirm). Hier hat der gute Deutsche Gelegenheit, sich durch 10 Euro frei zu kaufen (… irgendwo hatte ich das mal im Religionsunterricht, glaube ich…), ab 100 Euro taucht er dann auch im Laufband unten auf der Mattscheibe auf und kann das Foto dann auf FB senden. Hier stimmt der Abstand noch: „Ich hab ja was getan, war nur zu weit weg.“

Szenenwechsel: Grimma, Leipzig, Dresden. Hochwassermarkierungen von 2002 sind teilweise wegen Überflutung nicht mehr lesbar. Eine Sondersendung jagt die nächste, Frau Merkel und andere Politgrößen vermitteln in Gummistiefeln Betroffenheit vor Ort. Entfernung vom Rheinland? Ca. 600 km – je nach Standort. Da wird’s schon enger (denkt man so für sich) weil einige Berliner schon angereist sind um Sandsäcke zu stapeln. Hat man Verwandte dort, ist man arg in der Zwickmühle. Soll ich? Man weicht vielleicht auf die Öko-Bilanz aus: „Verbrauche ich mehr Sprit für dahin, als dass sich das lohnt, mit 675 anderen einen Sandsack nach dem anderen voll zuschaufeln?“ In jedem Fall mal Spenden – vorsichtshalber etwas mehr, wegen der Nähe.

Winter in Deutschland. Schnee, Schnee, Schnee. Schaufeln wird zum Standard vor dem Frühstück. Und die alte Frau Müller nebenan mit ihren sechzig Metern Straßen Front? Da hilft man dann doch. Sie kann es ja nicht mehr, wegen der Hüften. Und der Apfelkuchen von ihr neulich, der war schon klasse!

4. Akt: Das eigene Haus brennt. Alles weg, Möbel, Kleidung, Dokumente, Geld. Man selbst steht im Bademantel auf der Straße.
„Schlafen Sie erst mal bei uns!“, „Ich hab doch noch die Sachen von meinem Verstorbenen im Keller, die können Sie haben.“ Feuerwehr vor Ort. WDR vor Ort. Facebook vor Ort. Nachbarn vor Ort. Bürgermeister vor Ort. 

Sprung: Wochen gehen ins Land und man hat wieder eine Bleibe, das Leben geht weiter, die Versicherung hat gezahlt. Beim Durchgehen der Konto-Bewegungen und Mails nach längerer Zeit: kann man sich da noch wundern, wenn die Tante aus Vancouver nicht gespendet hat?

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