Montag, 10. Juni 2013

Das „Wasser des Lebens“ und ich


uisge beatha  so viel sei gesagt, kommt aus dem Schottisch – Gälischen und bedeutet „Wasser des Lebens“. 

Nicht-Schottisch-Gälische Erdbewohner – also vermutlich ein großer Rest der Menschheit - sagen einfach Whisky. Aber das wussten Sie ja sicher alles schon. Kaum hat man sich dieser Weisheit gewidmet, fällt einem als gebildeter Humorist auf, dass dieser Begriff auch schon von den Franzosen okkupiert wurde (eau de vie = Lebenswasser = Schnaps, allerdings aus Obst). Wundert es? In beiden Fällen stelle man sich vor, dass erste dankbar aus wahrscheinlich abenteuerlich konstruierten Apparaten empfangene Destillate den sturmerprobten Küsten-Bauern aus der Normandie oder Bretagne mit verfeinerten Äpfeln genauso über den kalten Winter geholfen haben wie dem schottischen McSonstwie in den Highlands seine goldenen Tropfen aus Getreide. 
Sie bringen die Lebensgeister eben wieder, wo sie fehlen. Erst nach intensiverem Genuss kann man dann diesen Prozess auch rückwärts verfolgen. Und wenn wir schon mal dabei sind: „Wasser“ und „Leben“ wird - gar nicht erstaunlich - auch bei Aquavit (aqua vitae) durchaus begrifflich kombiniert, geschmacklich dann allerdings unter Mithilfe von Kümmel. Ich bin sicher, ähnliche Konstrukte gibt auch im Namibischen oder bei den Inuit, möchte aber das Wissenschaftliche hier gar nicht so auswalzen sondern dazu auf Wiki oder ähnliche links verweisen.
Als ein dem leckeren Festen und Flüssigen dieser Welt nicht abgeneigter Konsument wundert es mich eigentlich, dass es so lange gedauert hat, bis ich auch bei „Wasser des Lebens“ , speziell hier aber bei Whisky - gerne mitrede. Dazu folgende Episode.
Will man guten Honig probieren, geht man zu Bienen und nicht zum Discounter. Möchte man in gutes Fleisch beißen, sollte ein Metzgerbesuch nicht zu weit sein, auch wenn die Kühltheken auf dem Weg dorthin billiger und meistens näher sind. Ich weiß, wovon ich rede.
Und so war es 2006, als ich auf einen Wochenendtrip nach Edinburgh flog. Mit vier Tagen Zeit im Rucksack und noch ohne viel Ahnung von dem, was man da so tun sollte, stand ich irgendwann auf der Highstreet – oder Royal Mile – mitten in der Stadt. Ich bin als Fotograf nicht so der Marco Polo „Abhaker“ sondern lass mich lieber treiben von zufälligen Blicken in Seitenstraßen oder einfach meiner Nase. Ich liebe das englische Leben, die Lebensart und den dort typischen Humor, daher brauche ich vor Ort kein großes Programm. Aber wie es so geht, man ist mit Kamera und Tagesrucksack so seine drei bis vier Stunden auf dem Pflaster unterwegs und irgendwann sagt der Magen: „Stopp!“ Es knurrt. Zeit zur Einkehr.
Wer sich in englischen Pubs nicht wohlfühlt, hat mein Mitgefühl. Eine bessere Mischung aus Geselligkeit, Essen und Trinken, abgewohntem Mobiliar und glänzendem Kupfer, Glas und Holz wird man selten finden. Der Landadel im Tweed steht da neben dem Handwerker im Overall und man hat das Gefühl, sämtliche Castings von Rosamunde Pilcher bis Edgar Wallace und – je nach Pub -  dem Doktor und seinem lieben Vieh umgeben einen. Es gibt zwar auch hier – speziell beim Essen – Dinge, die ich für empfehlenswert, andere für das Gegenteil halte, aber die Mischung macht´s. Sheperd´s Pie schmeckt – Haggis schmeckt (mir) nicht. So hatte ich irgendwann meine zwei Lager plus Pie intus und genoss die Atmosphäre. Es wird natürlich an Edinburgh gelegen haben, dass die Bar hinter der Theke auf dem Regal neben den üblichen Verdächtigen eine fast unüberschaubare Menge an Whiskyflaschen unterschiedlichster Etikettierung beherbergte. Ich schätzte sie auf locker fünfzig bis sechzig Sorten.  
Mein bisheriger Kontakt mit Whisky – oder was ich laut Etikett dafür hielt – erstreckte sich auf zwei Stationen von früheren üblen Studentenzeit-Mixturen (Whisky Cola) auf später folgende Einzel-Tests von Johnny´s oder Dimples aller Art. Nicht mein Ding waren alle und führten daher in der Conclusio für mich dazu, dass ich beschloss, das Zeug nicht zu mögen. Es schmeckte nach fauler Gartenerde, scharf und teilweise sogar nach schon mal Gegessenem. Ich strich es also von meiner zukünftigen Getränkeliste und konnte auch so prima weiterleben.
Hier aber – im Auge des Sturms sozusagen – war es mir, als wäre ich vergleichbar mit einem typischen Touri, der im Steakrestaurant in Dallas, Texas, sitzt und sich als Vegetarier outet. Und wer will schon ein typischer Touri sein? Am wenigsten die typischen Touris!
Mein Blick fiel auf einen einzelnen Herrn an der Bar. Weißhaarig, wohl Mitte Sechzig, Tweed Jackett, Cordhose, Modell Landadel, vor sich ein Glas mit goldenem Inhalt. Er hätte als McIrgendwas von einem adligen Castle durchgehen können und ich war sicher, es parkte irgendwo ein grüner Jaguar oder Land Rover aus den Sechzigern vor der Tür.
Ich stellte mich neben ihn; wir kamen ins Gespräch. Es ging um Themen, die immer vorkommen, wenn Deutsche und Engländer sich unterhalten. Das Wetter, der Krieg, wer wann wo schon mal in der Weltgeschichte war und manchmal Fußball. Bevor es zu Fußball kommen konnte und das Gespräch dann wohl rapide abgestürzt wäre, da ich Abseits nicht mal auf Deutsch erklären kann, wechselte ich zum Thema Whisky. Ich erzählte ihm meinen Werdegang in dieser Richtung, erntete unverständliches Stirnrunzeln und fühlte mich gut aufgehoben. Er, so meine Bitte, habe jetzt die wahrscheinlich nie mehr vorkommende Gelegenheit, mich zu bekehren. Was, zum Teufel, hätte ich falsch gemacht? Da Engländer bei gleicher Aussage immer um Zehnerpotenzen höflicher klingen als wir, meinte er nicht „Just everything, my boy!“, sondern umschrieb es besser mit „Es hätte sicher Möglichkeiten gegeben, eine Verbesserung hie und da herbei zu führen.“
Zunächst winkte er das Mädchen hinter der Bar zu uns und zeigte auf eine Flasche aus dem Etikettendschungel hinter ihr. Sie nahm zwei Gläser und stellte sie vor uns. Wir prosteten uns zu und ich versuchte vorsichtig, der Sache näherzutreten. Ein Himmel tat sich auf! Weich, vollmundig, kräftig und nur so scharf, wie man es gerne schmeckte, lief das Lebenswasser innen an mir runter. Ich war so erstaunt, dass er lachte. So müsse Whisky schmecken, meinte er. Ich konnte ihm nur beipflichten.
Beweise im wissenschaftlichen Umfeld sind keine, wenn der Versuch nur einmal geklappt hat, soviel ist sicher. Um der Hypothese, es sei ein Zufall gewesen, sämtlichen Boden zu entziehen, wiederholten wir den Versuch. Er opferte sich ebenfalls. Klare Ansage von da ab: das Zeug schmeckt. Aber nicht, sobald „Whisky“ auf der Flasche steht, sondern sobald auch ein Destillat, was den Namen verdient, drin ist.
Leider konnte er meine Feldforschungen nicht weiter begleiten, da sich ja erwähnter Oldtimer noch vor der Tür befand. Und so schieden wir in der festen Überzeugung, viel für den britisch-deutschen Austausch getan zu haben (dem europäischen Gedanken insgesamt wollte er trotz drittem Glas nicht weiter näher treten; Adel verpflichtet schließlich).
Immer wenn ich „meine Marke“ jetzt irgendwo entdecke, denke ich an den alten Herrn und beneide ihn – aus genannten Gründen – um seinen wohlsortierten Haus-Pub. Prost! Er hat mein Leben bereichert.

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