Beim Ausmisten der Mappe mit
Uralt-Dokumenten vom ersten selbstgeschriebenen Wunschzettel mit Fünf („aine
Sement Mischmasine unt ein bieschen Lego“) bis zur Prüfung als Stadtführer in
Aachen stößt man mitunter auf längst verschollen geglaubte, dann aber umso mehr
willkommen geheißene Blätter. So ging es mir, als ich plötzlich ein stark vergilbtes DIN A 5 - Machwerk (ca. 1981
n.Chr.) in der Hand hielt. Auf einmal läuft ein Film im Kopf ab und man braucht
sich nur nochmal gedanklich zurückzulehnen:
Hoffnungsvoller
Nachwuchs-Akademiker, irgendwo zwischen Vordiplom und permanenter Geldnot
schwebend, erhielt Job als „Geschäftsführer“ in einer neu zu eröffnenden Kneipe
mitten in Aachen. Mit dem angeborenen gastronomischen Ur-Instinkt eines
Studenten und der Ausbildung zum Hotelkaufmann in einem Düsseldorfer
Fünf-Sterne-Bunker im Rücken sollte ich derjenige sein, welcher.
Mein Boss,
Earny, ein schwarzer, eins sechzig großer Südafrikaner mit braunem Ford Camaro
und goldener Rolex, traute mir das erstaunlicherweise direkt zu. Ich muss ihn
mit meinen knallharten Verkaufspreis-Kalkulationen von Bitburger und Bloody
Mary wohl überzeugt haben. Er selbst hatte als zweites Standbein eine
alteingesessene Kneipe in irgendeinem Maastrichter Keller und war - erstaunlich
oft - dazwischen dann wieder mal in Johannisburg.
Gesagt, versucht. Ich schöpfte
aus dem Vollen, malte mit Filzstift und theoretischem Marketing - II
Hintergrund einen Flyer, kopierte ihn ein paar Hundert Mal und suchte per Anzeige
ein paar nette Mädels, die vier Pils und eine Frikadelle im Kopf
zusammenrechnen konnten. Preislisten erstellen und Speisekarten schreiben ging
schnell, alles war durchaus übersichtlich und ich hatte freie Hand. Ab und zu kam Earny vorbei,
schien an allem Gefallen zu finden, stellte noch ein paar Flaschen ohne Etikett
unter die Theke und verschwand wieder.
Die Eröffnung lief gut ab und
nach ein paar Wochen schien es, als könne „Earny´s Place“ sich zu einem
konstanten Fixstern am damals schon ziemlich vollen Aachener Kneipenhimmel
entwickeln. Ich war´s zufrieden und räumte der praktischen Kneipenkarriere mit
Bierdeckel-Buchhaltung durchaus ein paar Monate Priorität vor dem Diskutieren
von Keynesianischen Modellen zur Preisfindung im perfekten Umfeld ein.
Es war die Zeit, in der man über
Atomkraft-Aufkleber und Sonnenblumen an allen Wänden um die Uni stolperte,
selbstgestrickte Latzhosen und Jutetaschen inklusive. Eine Vierer-Abordnung dieser
Glaubensrichtung erschien auch bei mir vor der Kneipe – ein Transparent über
dem Kopf mit traurig guckenden Fröschen, denen man bereits die Schenkel zum
späteren Verzehr entfernt hatte. Anlass der lauten Truppe war meine Speisekarte,
die unter anderem Froschschenkel bot. Earny hatte das wohl in Maastricht schon
versucht und wollte es auch in Aachen verkaufen. Nicht, dass die dürren Dinger
seit Gründung der Kneipe der Renner gewesen wären, aber so alle zwei Wochen kamen
sie mit ein bisschen Knofi und Weisswein in die Pfanne.
Um die Dezibel von der Straße zu
kriegen, bot ich der grünen Truppe einen Früchtetee an und ließ mich auf ihre
Argumentation, unterstützt von DIN A 4 Ordnern mit Bildern aus Indien oder
sonst wo, ein. „Schweren Herzens“ gab ich dann auf, nicht ohne den zu
erwartenden deutlichen Umsatz-Rückgang zu bejammern. Ob es da auch Hilfe gäbe?
Angetan von meinem sofortigen Kompromiss-Angebot beschlossen sie, ihre
wöchentliche Sitzung über Krisen in der Welt bei mir an der Theke stattfinden
zu lassen. Zum Ausgleich wurden die Schenkel durch Frühlingsrollen verdrängt.
Alles hätte so schön bleiben
können und mit Sicherheit hätte ich heute ein glanzvolles Kneipen-Imperium in
der Euregio, wenn Earny nicht gewesen wäre! Eines Abends kurz nach Acht ging
die Tür auf und zwei Herren in Zivil standen an der Theke, denen man den Freund
und Helfer schon von Weitem ansah. Sie fragten nach mir und teilten mir mit, dass
in Earny´s Place in genau fünf Minuten das letzte Pils aus dem Hahn gezapft
würde, dann wäre Schluss. Mein schwarzer Freund hatte nämlich vergessen, seine
kleinen Goldbarren bei der Ausreise aus Südafrika rechtzeitig vor dem deutschen
Zoll wieder aus den Zahnpasta-Tuben zu nehmen. Seufz.
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