Dienstag, 11. Februar 2014

Earny´s Place



Beim Ausmisten der Mappe mit Uralt-Dokumenten vom ersten selbstgeschriebenen Wunschzettel mit Fünf („aine Sement Mischmasine unt ein bieschen Lego“) bis zur Prüfung als Stadtführer in Aachen stößt man mitunter auf längst verschollen geglaubte, dann aber umso mehr willkommen geheißene Blätter. So ging es mir, als ich plötzlich ein  stark vergilbtes DIN A 5 - Machwerk (ca. 1981 n.Chr.) in der Hand hielt. Auf einmal läuft ein Film im Kopf ab und man braucht sich nur nochmal gedanklich  zurückzulehnen:
Hoffnungsvoller Nachwuchs-Akademiker, irgendwo zwischen Vordiplom und permanenter Geldnot schwebend, erhielt Job als „Geschäftsführer“ in einer neu zu eröffnenden Kneipe mitten in Aachen. Mit dem angeborenen gastronomischen Ur-Instinkt eines Studenten und der Ausbildung zum Hotelkaufmann in einem Düsseldorfer Fünf-Sterne-Bunker im Rücken sollte ich derjenige sein, welcher. 
Mein Boss, Earny, ein schwarzer, eins sechzig großer Südafrikaner mit braunem Ford Camaro und goldener Rolex, traute mir das erstaunlicherweise direkt zu. Ich muss ihn mit meinen knallharten Verkaufspreis-Kalkulationen von Bitburger und Bloody Mary wohl überzeugt haben. Er selbst hatte als zweites Standbein eine alteingesessene Kneipe in irgendeinem Maastrichter Keller und war - erstaunlich oft - dazwischen dann wieder mal in Johannisburg.
Gesagt, versucht. Ich schöpfte aus dem Vollen, malte mit Filzstift und theoretischem Marketing - II Hintergrund einen Flyer, kopierte ihn ein paar Hundert Mal und suchte per Anzeige ein paar nette Mädels, die vier Pils und eine Frikadelle im Kopf zusammenrechnen konnten. Preislisten erstellen und Speisekarten schreiben ging schnell, alles war durchaus übersichtlich und ich hatte freie Hand. Ab und zu kam Earny vorbei, schien an allem Gefallen zu finden, stellte noch ein paar Flaschen ohne Etikett unter die Theke und verschwand wieder.
Die Eröffnung lief gut ab und nach ein paar Wochen schien es, als könne „Earny´s Place“ sich zu einem konstanten Fixstern am damals schon ziemlich vollen Aachener Kneipenhimmel entwickeln. Ich war´s zufrieden und räumte der praktischen Kneipenkarriere mit Bierdeckel-Buchhaltung durchaus ein paar Monate Priorität vor dem Diskutieren von Keynesianischen Modellen zur Preisfindung im perfekten Umfeld ein.
Es war die Zeit, in der man über Atomkraft-Aufkleber und Sonnenblumen an allen Wänden um die Uni stolperte, selbstgestrickte Latzhosen und Jutetaschen inklusive. Eine Vierer-Abordnung dieser Glaubensrichtung erschien auch bei mir vor der Kneipe – ein Transparent über dem Kopf mit traurig guckenden Fröschen, denen man bereits die Schenkel zum späteren Verzehr entfernt hatte. Anlass der lauten Truppe war meine Speisekarte, die unter anderem Froschschenkel bot. Earny hatte das wohl in Maastricht schon versucht und wollte es auch in Aachen verkaufen. Nicht, dass die dürren Dinger seit Gründung der Kneipe der Renner gewesen wären, aber so alle zwei Wochen kamen sie mit ein bisschen Knofi und Weisswein  in die Pfanne.
Um die Dezibel von der Straße zu kriegen, bot ich der grünen Truppe einen Früchtetee an und ließ mich auf ihre Argumentation, unterstützt von DIN A 4 Ordnern mit Bildern aus Indien oder sonst wo, ein. „Schweren Herzens“ gab ich dann auf, nicht ohne den zu erwartenden deutlichen Umsatz-Rückgang zu bejammern. Ob es da auch Hilfe gäbe? Angetan von meinem sofortigen Kompromiss-Angebot beschlossen sie, ihre wöchentliche Sitzung über Krisen in der Welt bei mir an der Theke stattfinden zu lassen. Zum Ausgleich wurden die Schenkel durch Frühlingsrollen verdrängt.
Alles hätte so schön bleiben können und mit Sicherheit hätte ich heute ein glanzvolles Kneipen-Imperium in der Euregio, wenn Earny nicht gewesen wäre! Eines Abends kurz nach Acht ging die Tür auf und zwei Herren in Zivil standen an der Theke, denen man den Freund und Helfer schon von Weitem ansah. Sie fragten nach mir und teilten mir mit, dass in Earny´s Place in genau fünf Minuten das letzte Pils aus dem Hahn gezapft würde, dann wäre Schluss. Mein schwarzer Freund hatte nämlich vergessen, seine kleinen Goldbarren bei der Ausreise aus Südafrika rechtzeitig vor dem deutschen Zoll wieder aus den Zahnpasta-Tuben zu nehmen. Seufz.

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