Donnerstag, 16. August 2018

Mein Gott, waren wir cool!


Wem ging es anders, aufstehen! Im Teenager-Alter öffneten sich viele Universen, die alle Dank ihrer Gravitation mehr als geeignet waren, einen gedanklich vom Landeanflug auf den Stern „Schulabschluss“ wegzuziehen. Dazu verwirrten einen die plötzlich erlangten Freiheitsgrade wie Mopeds, zahlreiche Freistunden, Wochenenden, gestiegene (und trotzdem immer zu knappe) Geldmittel durch Jobs wie Unkraut jäten, Rasen mähen und Lagerkisten stapeln einfach zu sehr. Es gab schliesslich Wichtigeres zu entdecken als Cicero, Pythagoras oder den Zitronensäure-Zyklus. DAS Objekt der wöchentlichen Begierde: die Disko. 

Hier eine Reminiszenz an die fest installierte Standard-Ausrüstung dafür aus Anfang/Mitte der Siebziger: die Bordmittel zum Selberdrehen (Samson plus Blättchen, später als Interims-Lösung CAMEL ohne) immer in der Motorrad-Lederjacke innen links, rechts die Ersatz-Zündkerze plus -schlüssel; Portemonnaie mit Schülerausweis, Klasse IV-Führerschein und Biermarken vom letzten Wochenende (eher selten) in der Jeans hinten. Einweg-Feuerzeug in der Jeans rechts. Versuche, dieses durch ein Zippo zu ersetzen, was sehr viel cooler auf und zu schnappte, misslangen meist, weil meins aus unerfindlichen Gründen immer auslief. Feuerzeugbenzin auf Innenschenkeln war auf Dauer einfach nix, nicht zuletzt wegen des äußeren Anscheins permanenter Inkontinenz. Ganz unten am Ende der langen Stelzen die adidas Turnschuhe mit den drei schwarzen Streifen – Sommer wie Winter.

Dieses ganze Erscheinungsbild zwischen langen Haaren, breiten Schultern (Dank der Jacke), schmalem Budget und zu enger Jeans fand sich in konzentrierter Form mit ca. zweihundert Gleichgesinnten beiderlei Geschlechts (damals gab es nur zwei – wir hatten ja nichts) freitags abends in den „Katakomben“ ein. Der Name versprach mehr als er hielt: initiiert von der katholischen Hochschulgemeinschaft fand dort in einem äußerst ungemütlichen Bau der Aachener Innenstadt eine „Disko“ statt.
Die Räume strahlten genau den Charme aus, als hätte ein Architekt den Auftrag bekommen, aus Beton und Plastik eine Versammlungsstätte zu kreieren, die sowohl den kirchlich getragenen Interessensgruppen wie Bibelkreis, Mariä Himmelfahrt-Gedächtnis-Versammlung oder Diashows der letzten Tizet-Pilgertouren genügt als auch einmal wöchentlich eine hormongesteuerte Truppe von 14-19 jährigen auszuhalten, die sich zu den aktuellen Charts in seltsam zuckenden Bewegungen völlig verausgabten, um dem jeweils anderen Geschlecht zu imponieren.

Wenn man sein Moped möglichst auffällig direkt am Eingang geparkt und für 1,50 DM Eintritt vom kaum älteren Einlasspersonal den Stempel erhalten hatte, galt es, die Lage innen zu peilen.

Um den – na, sagen wir mal – in den Siebzigern und später Geborenen kein falsches Bild zu vermitteln, sei hier kurz auf die Ausrüstung damaliger „Diskos“ hingewiesen: weitab von heute selbstverständlich an die Wand gestrahlten Musikvideos, Laser-Hologrammen oder Dolby-Surround Beschallung ergab sich der vermeintlich gereifte Jugendliche den Plattenkriegen, die der DJ oben am Mischpult führte. Immerhin von zwei Plattentellern - im Wechsel mit Vinyl belegt - ergoss sich „Stereo-Sound“ über mehrere mannshohe Boxen ins wild unten auf der Fläche zuckende Publikum. 

War die Mucke Mist, zuckte nix.

Dabei ergaben sich diese mit Lötkolben und viel "Fachwissen" oft selbst zusammengeschraubten Monsterklötze auch manchmal ihrem Schicksal, wenn irgendwelche Membranen der Hoch- oder Tieftöner hinter dem Lautsprechergitter mechanisch einfach aufgaben. In den Ecken verteilt: die Lichtorgel. Auch oft selbst konstruiert, konnten verschiedene Farben im Bass-Rhythmus aufleuchten.

 Geschmäcker zur optimalen Beschallung waren natürlich äußerst verschieden. Die Charts rauf und runter kannte man auswendig und billigte diese mehr oder weniger, zwischen Beatles und Stones ging es da aber schon auseinander, erst recht bei Bowie, Zappa, Uriah Heep oder Rick Wakeman. 

Plattenwünsche wurden an Uwe direkt abgegeben, wenn man es schaffte, die fast unendlich produzierten Dezibel zu übertönen. Warum Mädchen mit tieferen Ausschnitten mehr Chancen hatten, blieb ein offenes Geheimnis. In der Regel bastelte er seine Musik-Kollagen eben noch nicht auf einer 100 Gigabyte-Festplatte, sondern aus fünf bis sechs zum Bersten gefüllten Bananenkisten voller Singles und LP´s zusammen. Ton-Kassetten kamen bei solchen Einsätzen zwar vor, wurden aber dank der unhandlichen Zugriffsmöglichkeiten und der allmächtigen Gefahr von Bandsalat eher ungern genutzt.

Bier gab es aus Plastikbechern zu 1,50 DM pro halbem Liter. Bis zum Ende meiner mehrjährigen Visiten dort konnte keiner das Gerücht beweisen, dass es mit Wasser gemischt war, schmeckte aber genauso fürchterlich.

Wichtig war natürlich die strategisch optimale Position auf der oben umlaufenden Balustrade: freier Blick gleichzeitig auf Tanzfläche, Eingang, DJ und die Tische drum rum, dazu die Kippe rechts in der Hand, den Plastikbecher links, so machte es Sinn. Ab und zu ein imitiertes Luft-Solo des Drummers von Golden Earring bei „Radar Love“ und ein angedeutetes Headbanging bei Status Quo – so blieb das Image gewahrt…man wusste ja nie, wer so zusah.
Unter sechzehn hieß es dann ab 22.00 Uhr: Augen auf! Die Jugendschutzbehörde schlief nicht und sandte ihre Jünger zum Kontrollgang durch die Räume. Man erkannte sie mit der Zeit zwar schon von Weitem, aber alles hatte man ja nun in dem vollgepackten Raum auch nicht immer im Blick. Die mich aber dafür schon und so endete der Abend dann manchmal früher als geplant draußen. Sobald man die sechzehn dann erreicht hatte, sah man
natürlich sofort bemitleidend auf alle, denen es genauso ging wie einem selbst letzte Woche noch…

Auf dem - früheren oder späteren - Rückweg hoffte ich dann immer, dass das Restgeld noch für eine Nachfüllung von 1:25 Gemisch an der Handzapfsäule der nächsten Tankstelle reichte. Fürs Schieben wäre der Weg dann doch zu lang gewesen.

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