Es mag mehr als zwanzig Jahre im vergangenen Jahrhundert
zurückliegen - kommt Leute, das schafft man auch ohne bestandenes Mathe Abi -,
da kam dem normalen, nichts Böses ahnenden Restaurantbesucher ein neuer Begriff
unter, der im Nachhinein bei mir noch Grausen hervorruft. Es liegt nicht am
Begriff selbst, der war eigentlich recht positiv gemeint. Nein, die Folge daraus
war des Pudels Kern. Es fehlte etwas für mich ganz Entscheidendes am Essen: das Sattwerden.
„Nouvelle Cuisine“ nannte sich dieses alles durchdringende Schlagwort, bei dem sich nur wenige alteingesessene Restaurants mit Stammtischen, kupfernen
Lampen und Skat-Kassen an der Wand trauten, seit Generationen bewährte
Speisekarten weiter aufzulegen. Seien sie im Nachhinein hier nochmal
ausdrücklich gepriesen!
Was sich hinter dem Begriff wirklich verbarg, blieb für viele
aushäusige Verzehrer auch nach Jahren noch ein Geheimnis, weil viele
Restaurants, in denen sie einkehrten, das Thema komplett verdrehten.
Ursprünglich gedacht als das, was man in Wikipedia leicht
nachlesen kann und hier deswegen nicht mit einem Schein von selbstständigem
Wissen meinerseits belegt werden soll, diente es bei den Anwendern häufig dazu,
nur eines zu ändern: die servierten Mengen.
Frische Ware, kurze Kochzeiten, viel Eigengeschmack – so das
offizielle Credo der Apostel dieser Richtung.
Eine Einladung an die Bleistiftspitzer unter vielen Restaurantbetreibern,
sofort vom Tranchierwagen für das Rinderfilet Abstand zu nehmen. Stattdessen stellte
man einen Hofdesigner ein, der 23 Gramm Fleisch, eine halbe Broccoli-Rose und einen
Teelöffel Jus auf dem Teller zu einem vier Zentimeter hohen Turm drapierte.
Kamen
dann livrierte Herren beim runden Tisch einer erwartungsvoll dreinblickenden,
hungrigen sechsköpfigen Gesellschaft an und stellten die Teller, natürlich
inclusive einer Gloche, also diesen silbernen Servierglocken zum Warmhalten, vor
den Gästen ab, war Spannung angesagt. Auf ein Zeichen lüfteten die
Schwarzberockten dann gleichzeitig alle die Glocken.
In einer gutbesuchten bayerischen Gaststätte würde es beim
Servieren von sechs Schweinshaxen mit Kraut und Püree „Aaaahhhh“ machen. Das
vielleicht auch wegen der drallen Kellnerinnen, aber das steht auf einem
anderen Blatt.
In einem Nouvelle Cuisine infizierten Etablissement machte es
dann „ööööhhh?“ Was sich vor den Augen der Gäste abspielte, tja: Theo Lingen,
ein bekannter Filmkomiker aus der Mitte des 20. Jahrhunderts, hätte bei diesem
Anblick ein für ihn bekanntes, sehr näselndes „Traurig, traurig, traurig“ angestimmt.
Nun gab es immer zwei Möglichkeiten. Entweder man wartete auf
ein erlösendes „Ein Gruß aus der Küche“ und konnte sich beruhigt auf die eineinhalb
Gabeln stürzen, weil ja noch was kam.
Oder, ganz schlimm, man war eingeladen und durfte natürlich
nichts Schlechtes über das Essen verlauten lassen, weil ja der (ebenfalls
hungrige) Gastgeber mit am Tisch saß. Vorsichtige Blicke in die Runde ließen
einen dann ertasten, wie der Rest der Meute dachte.
Tatsächlich teilten sich
dann die Lager. Der kulturell möchtegern beflissene Teil der Runde bewunderte
zunächst die optisch so gelungene Komposition des mickrigen Häufleins, schnitt
dann ein Pfenniggroßes Stück Broccoli ab, schob es langsam in den Mund und verdrehte
ad hoc orgiastisch ob der „jetzt endlich mal in seiner ganzen Ursprünglichkeit
zu vernehmenden Klangvielfalt von Gemüse“ die Augen.
Der andere Teil, also meist ich, zupfte einen der hinter mir
aufgereihten Frackträger und fragte nach einem Nachschlag. Meist war ich
dadurch in aller Augen als Mitglied der sich dann spontan gründenden „Oh wie toll
ist das denn“-Gruppe disqualifiziert.
Da sich auch die hartgesottensten Verfolger dieser
Küchenrichtung nach nur einem Gang nicht auf die Straße getraut hätten, tat
sich unter fünf bis sechs Gängen meist nichts. Die Folge: fünf „Ööööhhhs“.
Der Abend endete meist für mich bei einer Currywurst mit
Pommes oder ähnlichen, Genugtuung versprechenden Highlights in irgendeiner Fritten Schmiede. Ab und zu traf man dort auch tapfere
Mitstreiter, die man vorher am Nebentisch im Restaurant entdeckt hatte; dann
hob man sich aus der Ferne die Flasche Pils zum verständnisvollen „Prost“
entgegen.
Warum schreibe ich das überhaupt?
Schlimmeres als Vorgenanntes spielt sich momentan in manchen
Küchengruppen bei Facebook ab. In den letzten Monaten scheint ein Ruck durchs fressende
Volk zu gehen, der da heißt: größer, höher, schwerer.
Der höchste Burger (40 cm, dann kippt er) die dicksten
Braten, das schwerste Steak („alles unter 750 Gramm ist Carpaccio"), die
Schnitzel in quadratmetergroßen Flächen, die Pizza in Beistelltischgröße unter
zusätzlich einem Kilo Spaghetti begraben…alles das wird mit Menschen gezeigt,
die sich augenscheinlich freuen, wenn so etwas „serviert“ wird. Wo das Essen fünfzehn
Minuten später landet, sobald die Handykamera aus ist, will ich gar nicht
wissen. Die Container im Hinterhof des „Restaurants“ sprechen wahrscheinlich
Bände.
Es widert mich ehrlich gesagt an, dass es solche Nahrungsmittelunfälle
überhaupt gibt. Ich will jetzt gar nicht mit armen Negerkindern in Afrika
anfangen, aber auch der Blick um die eigene Hausecke sollte einem solche
Exzesse ebenfalls verbieten.
Daher die Überschrift. Gute Portionen, leckere Küche ohne
Schnick Schnack: ist das so schwer?
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