August. Sommerloch – nicht nur in der Journalismus Ecke.
In
der allzeit findigen Branche der Versicherungen hat man entdeckt, dass sich der
erfolgreiche Makler n o c h erfolgreicher aufstellen kann, wenn er seine ruhige
Zeit im Sommer nicht mit solch weltlichen Themen wie Ausschlafen, Kochen,
Biergarten oder Unkraut jäten füllt, sondern mit – yes! - Online-Seminaren.
Vorbei die Zeit, als man sich nach staureicher Anfahrt mit
Seinesgleichen in Hotels, Versicherungs-Zentralen oder Logen von Fußballstadien
(wohlbemerkt Dienstag Mittags) versammelte, um gebannt den Key Account Managern
oder anderen Hausinternen der Pfefferminzia bei ihren Vorträgen über die
bahnbrechende Neuentwicklung der fünfundsiebzigsten fondsgebundenen Rentenversicherung
mit „Duo-Hybrid-over-the-Top-Assets mit und ohne Garantiezusatz“ zu lauschen.
Man kannte seine Kollegen noch persönlich, konnte wieder feststellen, dass man
selbst auch hätte in Jeans kommen können, bekam nach einem Buffet eine mehr
oder weniger geschmackvolle Tasche mit Mappen, Werbe-Kulis oder anderen
sinnvollen Geschenken und einem Block mit nach Hause und hatte nach dem
Begleichen der 12 Euro Parkgebühren in der hauseigenen Tiefgarage das Gefühl,
den Tag halb sinnvoll verbracht zu haben.
Kleiner Einwurf hier: zum besten Werbegeschenk aus dieser Reihe
möchte ich einen schwarzen Plastik-Kuli erheben, der - in einer Plastikhülle
verpackt – in einer Plastik-Tragetasche überreicht wurde. Anlass: ein Vortrag
über nachhaltige und umweltbewusste Geldanlagemöglichkeiten einer
Fondsgesellschaft…
Nein, damit ist jetzt Schluss! Das digitale Zeitalter macht
auch vor unserem gesellschaftlich ach so hoch geachteten Beruf des Finanzberaters
nicht Halt. Spart man doch kostbare Arbeitszeit von Hin- und Rückfahrt, Benzin
und Parkgebühren, indem man sich einfach locker morgens eben nicht in den Stau
am Kölner Ring, sondern – von mir aus im Bademantel – vors Laptop setzt.
Um Punkt zehn klickt man auf einen gestern schon per Mail
empfangenen link und – zack – ist man neugieriger Teil der landesweiten
Online-Gemeinde im „Kick-off-Seminar zu den bahnbrechenden Neuerungen in der
betrieblichen Altersversorgung nach § 375,2“.
In bunten Charts und mit weltgewandter Präsentationsstimme bringt
uns dann Walter Hebesack, Landesdirektor bei der Vereinigten Landesversicherung,
die umwälzenden Punkte dieses spannenden Themas ganz nahe. Anschließend kann
man sich alle Charts herunterladen, im Chatroom Fragen ganz simpel klären und hinterher
dafür noch berufliche Weiterbildungspunkte sammeln, die einem gutgeschrieben werden.
Ja, so könnte sich das im Idealfall abspielen.
Ich möchte den Leser in die Realität bringen.
Montagmittag. Neben anderen total wichtigen Mails, die man im
August so erhält („Sie haben Post“, „Achtung, Hauptgewinn!“, „Land Rover jetzt
im Leasing besonders gefragt“, „Ihr Mailaccount wurde geknackt“ usw.) finde ich
auch eine Erinnerung der Vereinigten. Ich hatte mich vor zwei Monaten in einem
Anflug von „da ist noch Luft im Kalender“ für ein Online „Webinar“ zum Thema „Lehrer
in der Versicherungsberatung – wer bringt hier wem was bei?“ angemeldet.
Hier nun also der link für die morgige Veranstaltung, 10 bis
11 Uhr.
Dienstagmorgen, 9.55 Uhr. Ich sitze mit einem heißen Kaffee
vor dem Bildschirm und suche die Mail mit dem link von gestern. Klick!
Ein Fenster öffnet sich und bittet mich um die Eingabe eines
Passwortes. Ich lese nochmal die Mail und finde keins. Ich beschließe, dass mit
„Passwort“ wahrscheinlich der „Eingabecode“ gemeint ist und gebe diesen ein.
Ein zweites Fenster erscheint mit der Aufforderung, jetzt bitte
zu prüfen, ob mein PC überhaupt „seminarfähig“ ist. Nein, das bedeutet nicht,
dass er die Mittlere Reife haben muss (soviel hab ich aus vergangenen
Weiterbildungen schon gelernt), sondern dass ich Bild und Ton empfangen kann.
Ich prüfe und bekomme einen grünen Haken so wie ein „Herzlichen Glückwunsch,
wir stellen Sie jetzt in den Seminarraum!“
10.01 Uhr: Ein Chart erscheint, auf dem das nett lachende
aber gruselig aufgenommene Gesicht eines Herrn in Jackett und Blumenkrawatte erscheint.
Der Redner. Sonst erscheint nichts. Eine knarzende weibliche Stimme wiederholt
in halbminütiger Endlosschleife „Wir begrüßen Sie zu unserem Seminar und
beginnen in wenigen Minuten“. Entspannt kann ich nun einen Schluck Kaffee
nehmen und lehne mich zurück. Technik, meine Freundin!
10.05 Uhr: die Dame knarzt nicht mehr. Stattdessen höre ich
die Stimme des Krawatte tragenden „Seminarleiters“ Horst B. : „..urz vorstellen,
…bin ihr ..eutiger..leiter Horst.B….hoffe,…mich verstehn?“ Dann Ruhe. Zeit für
einen Schluck Kaffee.
Auf der rechten Seite sehe ich im „Chatroom“, dass sich
aktuell 131 Teilnehmer eingeloggt haben. Geschätzte 127 davon schicken gerade eine
Meldung wie „keine Verbindung“, „schlecht“, wo ist der Lautsprecher?“, „wer
spricht da?“. Ich schließe daraus, dass ich mit meinem Problem nicht alleine
bin, spare mir aber einen zusätzlichen eigenen Kommentar.
10.10 Uhr: Horst B. hat ein Problem erkannt und entschuldigt
sich bei allen 91 Teilnehmern für die bisher schlechte Verbindung. Man versuche
„einige Tricks“ und melde sich in zwei Minuten wieder. Ich habe Verständnis und
fülle meinen Kaffee nach.
10.13 Uhr: die Tricks haben funktioniert! Ich sehe Horst B.
immer noch und alle 71 anderen Teilnehmer sicher auch.
10.16 Uhr: Herr B. ist jetzt mit frischer Stimme bei uns 65
Zuhörenden, bittet nochmals um Entschuldigung und „reicht jetzt endlich das
Zepter weiter an unseren heutigen Gastredner, Herrn Genzwein von den Vereinten
Versicherungen. Herr Genzwein, ..itte…öön!“ … „llooo?“
!0.20 Uhr: ich finde, ich kann die Zeit nutzen, um für die
Kundin Bertram ein Angebot für eine Hausratversicherung zu rechnen. Herr Genzwein wird sich schon rühren, wenn es weitergeht.
10.30 Uhr: Herr Genzwein spricht jetzt dank moderner Technik
in klaren Worten zu allen 22 Zuhörern, entschuldigt sich für alles noch einmal
und fängt mit dem ersten Chart an. Lediglich seine Maus scheint heute Probleme
zu bereiten (nicht die Assistentin mit der Endlosschleife, sondern die andere…ihr
wisst schon) und will nicht, wie Herr Genzwein will. So muss er eben sagen, wo
die Maus gerade eigentlich hinzeigen soll, was das Fortkommen in dem für eine
Stunde avisierten Vortag allen 12 Zuhörern sicher etwas erschwert. Eine unten rechts angezeigte laufende Anzahl "2/123" der zu zeigenden Charts ermutigt ebenfalls wenig.
10.45 Uhr: Anscheinend mag die hauseigene Seminartechnik Herrn Genzwein heute
nicht, denn wir haben immer noch das zweite Chart mit dem „Lehrermangel in
Deutschland“ auf dem Bildschirm, was mir und auch dem anderen Zuhörer jetzt
unangenehm auffällt.
Meine Zeit ist gekommen, ich verabschiede mich höflich im
Chatroom und bekomme von Herrn Genzwein noch eine etwas schwierig zu
verstehende, aber sicher ernst gemeinte Entschuldigung ausgesprochen. Er würde aber
selbstverständlich wieder auf alle Teilnehmer mit einem neuen Terminvorschlag zukommen,
wenn sie die kleinen Probleme im Griff haben.
Mein Angebot für Frau Bertram ist fertig und der Kaffee ist
auch alle. Der Vormittag war bis jetzt also nicht ganz erfolglos.
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