…war auch ein Individuum für sich, was es wert ist, näher erwähnt zu werden
Fangen wir mal mit dem Erscheinungsbild an: was er an Grösse (oder sagen wir lieber Länge) mit seinen eins fünfundsechzig vermissen liess, machte er an Tiefe wett. Immer adrett, gebügelt und mit „Brillantine“ gegelt im Anzug, mit den Schnürsenkeln in die gewienerten Schuhe gesteckt und dem unvermeidlichen Hütchen auf dem Kopf ging er „zum Platz“. Der Platz war einer dieser typischen Verkaufsplätze für Gebrauchtwagen- so richtig mit Wohnwagen als Büro und bunten Wimpelketten darüber gespannt, wie man sie später "nach der Mauer" zuhauf in den neuen Bundesländern als "Spontan-Gründung" erblickte.
Im Wohnwagen sass er hinter dem Schreibtisch, auf demselben ein Aschenbecher, eingebettet in einen kleinen Modellreifen und hinter ihm die diversen Jahreskalender an der Wand.
Onkel Theo machte immer einen leicht verruchten Eindruck auf mich. In jungen Jahren war er tatsächlich einmal deutscher Meister im Jugendboxen und seine Hände konnte man mit gutem Gewissen als „Pranken“ bezeichnen. Gross wie Kohlenschaufeln konnte er Para-Nüsse mit einer Hand knacken. Seine Körperkräfte waren enorm, was sich unter anderem darin zeigte, dass er sein Bares im Haus (er traute keiner Bank) immer unter der Eichenschrankwand im Wohnzimmer einklemmte, da er der Einzige war, der sie hochheben konnte. Als er verstarb und meine Omi die Hinterlassenschaft suchte, brauchten wir tatsächlich einen Wagenheber, um an den Umschlag mit Bargeld zu kommen.
Er war nicht nur Gebrauchtwagen-Händler sondern vor allem auch Auto-Liebhaber. Ganz früher fuhr er einen VW Käfer, in den er einen Porsche Motor einbauen liess und es machte ihm einen Höllenspass, beim Ampelstart jeden Sportwagen abzuhängen.
Später wurde er zum Mercedes Fan, fuhr stets das absolut neueste Modell und sorgte dankenswerter Weise dafür, dass mein Vater immer einwandfreie Wagen aus erster Hand bekam. Die Handelsware suchte er nach Feierabend zuhause an seinem Schreibtisch in der Küche, wo er die Gebrauchtwagen Anzeigen studierte und dann telefonierte.
In seiner Schublade hatte er eine „Spass-Brille“, mit der er mich als Vierjährigen oft erschreckte, da sie unter der glaslosen Brille eine dicke Gumminase und einen schwarzen Schnurrbart hatte.
Als Dortmunder war er – selbstredend – Borussia-Fan und jede Sportschau war heilig. Dann sass er im Feinripp auf dem Sofa im Wohnzimmer, eine Flasche Bier vor sich und Omi machte uns Schnittchen.
Zu besonderen Tagen gab es dann noch ein Sol-Ei: ein hartgekochtes Ei wurde halbiert, das Eigelb entnommen und in die Kuhle kamen Salz, Pfeffer, Senf, Essig und Öl. Dann legte man das Eigelb wieder oben drauf und hoffte, dass man diese Mixtur unfallfrei in einem Rutsch in den Mund bekam. Esse ich heute noch ab und zu sehr gerne!
Wenn Badetag war, sass ich hinterher, dick in den Bademantel eingemummelt, auf dem Sessel, kaute Schnittchen und Solei und am Ende des Abends, der für mich natürlich früh endete (nämlich, wenn die Mainzelmännchen vorbei waren) durfte ich noch ein halbes Schnapsglas „Schwarzen Kater“ auslutschen – ein fürchterlich süsser Likör, der mich dann in den Schlaf begleitete…
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen